BGH v. 21.2.2020 – V ZR 17/19
Unrichtige Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen
Bei einer einheitlichen Entscheidung des Wohnungseigentumsgerichts in erster Instanz richtet sich die Zuständigkeit des Berufungsgerichts auch dann einheitlich nach § 72 Abs. 2 GVG, wenn nur ein Teil der Entscheidung eine Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG betrifft. Ein Rechtsanwalt darf sich in aller Regel auch dann noch auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen und in Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug verlassen, wenn der gegnerische Anwalt deren Richtigkeit in Zweifel zieht.
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Das AG
Waren (Müritz) verurteilte die Beklagte dazu, den von ihr vorgenommenen
Dachgeschossausbau zu beseitigen. Außerdem stellte es fest, dass der in der
Eigentümerversammlung gefasste Beschluss, mit dem die Ausbaumaßnahme gebilligt
worden war, nichtig ist. Soweit die Kläger mit einem weiteren Klageantrag
(Klageantrag zu 3) von der Beklagten die Zustimmung zu einer Änderung der
Teilungserklärung und der Gemeinschaftsordnung verlangen, wies es die Klage ab.
In der Rechtsmittelbelehrung wird das LG Neubrandenburg als zuständiges
Berufungsgericht bezeichnet.
Die Parteien legten jeweils Berufung ein, wobei die Beklagte die Berufung an
das LG Neubrandenburg und die Kläger die Berufung an das LG Rostock richteten.
Nach einem Hinweis des LG Neubrandenburg auf seine Unzuständigkeit legte die
Beklagte Berufung beim LG Rostock als dem gem. § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG für
Wohnungseigentumssachen zuständigen Berufungsgericht ein und begründete das
Rechtsmittel. Zugleich beantragte sie Wiedereinsetzung in die versäumte
Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist. Das LG Rostock wies mit dem angefochtenen
Urteil den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung der
Beklagten als unzulässig.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des LG Rostock auf und
verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das LG Rostock an, dass die bei dem LG
Neubrandenburg eingelegte Berufung die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt hat.
Das zur Entscheidung über die Berufung zuständige Berufungsgericht ist gem. §
72 Abs. 2 Satz 1 GVG das LG Rostock. Bei dem Streit der Parteien um die
Beseitigung des von der Beklagten vorgenommenen Dachgeschossausbaus und über
die Gültigkeit des Wohnungseigentümerbeschlusses handelt es sich um
Streitigkeiten gem. § 43 Nr. 1 und Nr. 4 WEG. Der Umstand, dass die
Entscheidung des AG hinsichtlich des Klageantrags zu 3) möglicherweise keine
Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG betrifft, ändert an der
Zuständigkeit des LG Rostock nichts. Abgesehen davon, dass sich insoweit nur
hinsichtlich des Klageantrags zu 3), der aber nicht Gegenstand der Berufung der
Beklagten ist, die Frage nach dem zuständigen Berufungsgericht stellt, richtet
sich bei einer einheitlichen Entscheidung des Wohnungseigentumsgerichts in
erster Instanz die Zuständigkeit des Berufungsgerichts auch dann einheitlich
nach § 72 Abs. 2 GVG, wenn nur ein Teil der Entscheidung eine
Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG betrifft.
Entgegen der Rechtsauffassung des LG Rostock sind die Voraussetzungen des § 233
ZPO, wonach einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren ist, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung unter anderem der
Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist verhindert war, im vorliegenden Fall
erfüllt. Rechtsfehlerhaft meint das LG Rostock, die unzutreffende
Rechtsmittelbelehrung sei offenkundig fehlerhaft und der durch sie bei dem
Prozessbevollmächtigten der Beklagten verursachte Irrtum nicht mehr
nachvollziehbar, weil es nach mehr als zehn Jahren dem allgemeinen Kenntnisstand
entspreche, dass die Zuständigkeit für Berufungen in Wohnungseigentumssachen
bei dem LG Rostock konzentriert seien.
Im Übrigen darf sich ein Rechtsanwalt in aller Regel auch dann noch auf eine
unrichtige Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen und in Zivilsachen
mit wohnungseigentumsrechtlichem Bezug verlassen, wenn der gegnerische Anwalt
deren Richtigkeit – wie hier – in Zweifel zieht. Der durch den Fehler des
Gerichts hervorgerufene Vertrauensschutz besteht regelmäßig so lange fort, bis das
aufgrund der Rechtsmittelbelehrung angerufene Gericht auf seine Unzuständigkeit
hinweist; erst dann beginnt die Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 2 ZPO zu
laufen. Ein besonderer Fall, in dem dem Rechtsanwalt das Festhalten an seiner –
auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung gestützten – fehlerhaften rechtlichen
Beurteilung ausnahmsweise als Nachlässigkeit zum Vorwurf gemacht werden kann,
liegt hier nicht vor.
Quelle: BGH online