BGH zur Kündigung wegen Eigenbedarfs

Kündigung wegen Eigenbedarfs: Vorratskündigung mit gegenwärtig noch nicht absehbarem Nutzungswunsch reicht nicht aus

BGH 11.10.2016, VIII ZR 300/15
Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB reicht eine sog. Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, nicht aus. Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat um, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen ist.




Der Sachverhalt:
Die Klägerin war Mieterin einer Einzimmerwohnung des Beklagten. Dieser hatte das Mietverhältnis im April 2011 zum 31.1.2012 gekündigt und geltend gemacht, die Wohnung werde „dringend“ benötigt, um seine pflegebedürftige, weit über 80-jährige Mutter aufzunehmen. Der nachfolgende Räumungsrechtsstreit wurde durch einen Prozessvergleich beendet, in dem die Parteien eine Räumungsfrist bis zum 31.8.2012 vereinbarten und die Klägerin bei fristgerechtem Auszug 1.000 € erhalten sollte.
Seit dem Auszug der Klägerin im August 2012 steht die von ihr geräumte Wohnung leer. Die Mutter des Beklagten zog nicht um und verstarb im November 2014. Die Parteien stritten darüber, ob die Mutter des Beklagten ihr Haus wirklich verlassen und in die Wohnung des Beklagten umziehen wollte. Insofern nahm die Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz i.H.v. 23.642 € wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs in Anspruch.
AG und LG wiesen die ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH den Beschluss des LG auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Berufungsgerichtes zurück.



Die Gründe:
Die Klägerin rügte zu Recht, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung, ob zum Zeitpunkt der Kündigung und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich Eigenbedarf bestanden hatte, in mehrfacher Hinsicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG außer Acht gelassen hatte.

So ist etwa Voraussetzung einer zulässigen Wahrunterstellung, dass die Behauptung so übernommen wird, wie die Partei sie aufgestellt hat. Bei vollständiger Wahrunterstellung folgte hier aus der Behauptung der Klägerin, dass die Mutter des Beklagten nicht nur zur Zeit des Telefonats im Februar 2014, sondern niemals ernstlich beabsichtigt hatte, aus ihrem Haus auszuziehen. Damit war die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht nicht vereinbar. Schließlich hatte es das Vorbringen der Klägerin zur fehlenden Umzugsabsicht der Mutter des Beklagten bereits in seinem wesentlichen Kern nicht erfasst und damit gegen das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen.

Der zeitliche Ablauf war im vorliegenden Fall ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Kündigung im April 2011 zum 31.1.2012 eine mögliche spätere Nutzung erst vorbereiten sollte, der Nutzungswunsch der Mutter des Beklagten aber noch unbestimmt war und erst geweckt werden musste. Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB reicht aber eine sog. Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, nicht aus. Vielmehr muss sich der Nutzungswunsch so weit „verdichtet“ haben, dass ein konkretes Interesse an einer als-baldigen Eigennutzung besteht. Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat um, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel („stimmig“) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Und erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand.




Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist insofern nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben.
Quelle: BGH online