BGH Mietvertrag über Flüchtlingsunterkunft auch ohne Flüchtlinge?

BGH v. 23.10.2019 – XII ZR 125/18

Mietvertrag für Flüchtlingsunterkunft gilt auch ohne Einzug der Flüchtlinge

Ein Mietvertrag, den eine Gemeinde abgeschlossen hat, um in dem Mietobjekt ihr zugewiesene Flüchtlinge unterbringen zu können, ist unbeschadet seiner Bezeichnung kein Wohnraummietvertrag i.S.v. § 549 Abs. 1 BGB. Eine in diesem Vertrag enthaltene formularmäßige Klausel, mit der für beide Mietvertragsparteien das Recht zur ordentlichen Kündigung für die Dauer von 60 Monaten ausgeschlossen wird, ist nicht wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters unwirksam.

Der Sachverhalt:
Die beklagte Gemeinde hatte im Januar 2016 von den Klägern mit einem als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschriebenen Formularvertrag ein Wohnhaus angemietet, in dem bis zu 14 Flüchtlinge wohnen sollten. Die monatliche Miete betrug 2.645 €. § 4 des Mietvertrags enthielt folgende Regelung:

„Abweichend von § 3 wird das Recht beider Mietvertragsparteien zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses für die Dauer von 60 Monaten ab Abschluss des Vertrages ausgeschlossen. Der darin liegende Kündigungsverzicht kann höchstens für die Dauer von 47 Monaten seit Abschluss des Vertrages und mit der Möglichkeit zum Ablauf dieses Zeitraums vereinbart werden. Das Recht der Parteien zur außerordentlichen Kündigung bleibt davon unberührt. Für die Fristen der ordentlichen Kündigung nach Wegfall des Kündigungsausschlusses gelten die gesetzlichen Regelungen.“

Die in der Klausel genannte Zahl „60“ wurde an der in dem Vertragsformular vorgegebenen Stelle handschriftlich eingefügt. Neben der Klausel befand sich ein mit einem Sternchen gekennzeichneter Hinweis, der am Ende der Klausel mit der Formulierung „Sonderprogramm Flüchtlingswohnraum“ erläutert wurde.

Aufgrund des Rückgangs der Flüchtlingszahlen im Jahr 2016 fand eine Belegung des Hauses zu keiner Zeit statt. Infolgedessen kündigte die Beklagte das Mietverhältnis im Januar 2017 zum 30.4.2017 und vertrat dabei die Auffassung, die Sondervereinbarung über die Kündigungszeit von 60 Monaten sei entfallen, weil ihr seit Anfang 2016 keine Flüchtlinge mehr zugewiesen worden seien. Außerdem forderte die Beklagte die Kläger auf, einer Mietanpassung auf 5 €/qm zuzustimmen, weil die vereinbarte Kaltmiete von 10,62 €/qm die ortsübliche Miete um 112 % übersteige. Im August 2017 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis hilfsweise fristlos, weil die Kläger die Zustimmung zu einer Mietanpassung verweigert hätten.

Das AG hat die auf Zahlung rückständiger Miete für die Monate Mai bis Dezember 2017 i.H.v. insgesamt 21.160 € gerichtete Klage abgewiesen. Das LG die Beklagte hingegen im Berufungsverfahren antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Das streitgegenständliche Mietverhältnis war weder durch die Kündigung der Beklagten im Januar 2017 noch durch die Kündigung im August 2017 beendet worden, weshalb den Klägern gem. § 535 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Mietzahlung in der geltend gemachten Höhe zusteht.

Der vereinbarte Kündigungsausschluss ist selbst dann wirksam, wenn man mit der Revision davon ausgeht, dass es sich bei § 4 des Mietvertrags um eine AGB handelt, weil die Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB standhält. Zwar hat der BGH bereits mehrfach entschieden, dass ein formularvertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss, der die Dauer von vier Jahren übersteigt, den Mieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist. Diese Rechtsprechung ist aber auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen, weil die genannten Erwägungen nur für Wohnraummietverhältnisse tragen und ein solches hier nicht vorliegt. Denn bei dem streitgegenständlichen Mietverhältnis handelt es sich um ein allgemeines Mietverhältnis gem. § 535 BGB.

Zwar war Vertragsformular als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschrieben und auch verschiedene Bestimmungen legten nahe, dass die Parteien das Mietverhältnis den Regelungen über die Wohnraummiete unterstellen wollten. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliegt, ist jedoch auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolgt. Dementsprechend liegt Wohnraummiete vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen sollen. Erfolgt die Vermietung – wie hier – zu Zwecken, die keinen unmittelbaren Wohnraumcharakter haben, ist hingegen allgemeines Mietrecht maßgebend. Liegt demnach kein Wohnraummietverhältnis vor, wird die Beklagte durch den in § 4 des Mietvertrags vereinbarten Kündigungsausschluss auf die Dauer von 60 Monaten auch nicht unangemessen benachteiligt i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB.

Die ordentliche Kündigung aus Januar 2017 konnte auch nicht gem. § 140 BGB in eine außerordentliche Kündigung umgedeutet werden. Ungeachtet der Frage, ob eine ordentliche Kündigung überhaupt in eine außerordentliche Kündigung umgedeutet werden kann, weil die Wirkungen des Ersatzgeschäfts nicht weitergehen dürfen als diejenigen des unwirksamen Geschäfts, scheitert im vorliegenden Fall eine Umdeutung jedenfalls daran, dass der Beklagten kein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags zustand. Es lag kein wichtiger Kündigungsgrund i.S.v. § 543 Abs. 1 BGB vor, da der Rückgang der Flüchtlingszahlen und das damit verbundene Risiko, das Mietobjekt nicht oder nur eingeschränkt zur Unterbringung von Flüchtlingen nutzen zu können, allein in die Risikosphäre der Beklagten fiel.

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Quelle: BGH online