Keine grenzenlose Rücksichtnahmepflicht für Mieter bei Kinderlärm im Mehrfamilienhaus
BGH 22.8.2017, VIII ZR 226/16
Mieter müssen im Hinblick auf die Rücksichtnahmepflicht nicht jeglichen Kinderlärm als sozial adäquat hinnehmen. Es gibt Grenzen, wann das normale Maß überschritten ist. Diese sind im Einzelfall nach Art, Dauer, Intensität und Häufigkeit sowie nach Alter und Gesundheitszustands des Kinders zu ermitteln. Bei wiederkehrenden Lärmstörungen bedarf es nicht der Vorlage eines sog. detaillierten Lärmprotokolls, wenn sich Art, Dauer, Zeit und Häufigkeit aus der Beschreibung der Betroffenen konkret ermitteln lassen.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist seit 2004 Mieterin einer Wohnung im Erdgeschoss eines um 1900 erbauten Achtfamilienhauses der Beklagten. Die Streithelfer wohnen mit ihren beiden Kleinkindern seit Ende 2012 in der darüber liegenden Wohnung.
Die Klägerin behauptet, seit dem Einzug der Streithelfer komme aus deren Wohnung fast täglich, auch an Sonn-und Feiertagen sowie zu Ruhezeiten, massiver Lärm durch heftiges Stampfen, Springen, Poltern sowie durch Schreie und sonstige lautstarke familiäre Auseinandersetzungen. Diese Lärmstörungen würden nicht nur durch die Kinder, sondern auch durch die Streithelfer selbst verursacht. Die Störungen träten nicht nur vereinzelt, sondern mehrmals täglich auf und dauerten dabei zumeist ein bis vier Stunden an. Sie habe die Nachbarn schon seit August 2013 mehrmals vergeblich auf die Lärmstörungen hingewiesen. Der Lärm sei so massiv, dass er selbst mit Ohrstöpseln noch deutlich hör- und spürbar sei. Es sei ein ständiges Wummern zu hören und zu spüren. Töpfe in den Regalen würden wackeln sowie die Türen in den Angeln.
Zudem sei die ganze Wohnung davon betroffen, so dass sie sich dem Lärm auch nicht entziehen könnte. Zeitweise sei sie sogar aus der Wohnung ausgezogen, um sich der intensiven Lärmstörung zu entziehen. Bezeichnend für die Intensität des Lärms sei zudem, dass die schwerhörige Nachbarin, die über der Wohnung der Streithelfer wohnte, den Lärm ohne Hörgeräte höre und spüre. Die Klägerin begehrte die Beseitigung der Lärmstörung, die Feststellung eines Mietminderungsrechts i.H.v. 50 Prozent bis zur Beseitigung und die Rückzahlung einer wegen der Mietminderung nur unter Vorbehalt gezahlten Miete i.H.v. rd. 9.000 €.
AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Das LG hat die wesentlichen Punkte des klägerischen Vorbringens zu Art, Intensität, Häufigkeit und Dauer der Lärmstörungen nicht berücksichtigt und dadurch die Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen nicht ordnungsgemäß vorgenommen. Es hat lediglich eine kursorische Auswertung der Lärmprotokolle vorgenommen.
Grundsätzlich sind die in einem Mehrfamilienhaus gelegentlich auftretenden Lärmstörungen – auch üblicher Kinderlärm – zwar als sozial adäquat hinzunehmen und zumutbar. Sie stellen deshalb noch keinen Mietmangel i.S.v. § 536 BGB dar. Es gilt jedoch das Gebot zumutbarer gegenseitiger Rücksichtnahme. Daher sind auf der einen Seite zwar Geräuschemissionen, die durch übliches kindliches Verhalten verursacht werden u.U. auch bei erhöhter Intensität grundsätzlich hinzunehmen, auf der anderen Seite hat die geforderte Toleranz aber auch ihre Grenzen. Ob die Grenze überschritten ist, ist anhand des jeweiligen Einzelfalls nach Art, Qualität, Dauer, Zeit des Lärms und Alter sowie Gesundheitszustands des Kinds zu bestimmen.
Entgegen der Auffassung des LG ist im vorliegenden Fall das normal hinzunehmende Maß an Lärmbeeinträchtigungen nach dem klägerischen Vorbringen überschritten. Es kann nicht davon die Rede, dass die vorgetragene Lärmbelästigung wie das LG anhand der Auswertung der Lärmprotokolle auf einen natürlichen Bewegungsdrang der Kinder zurückgeführt werden kann. Ebenso handelt es sich bei dem Schreien, insbesondere des Streithelfers zu 2), nicht um eine im üblichen Rahmen liegende erzieherische Einwirkung auf die Kinder, diese zur Ruhe zu ermahnen. Es ist zudem nicht erkennbar, dass das Gericht den Lärmprotokollen, die im Widerspruch zu den Ausführungen der Klägerin stehen, den Vorzug gegeben hätte. Der Lärmprotokolle hätte es außerdem nicht einmal bedurft, da die seit Jahren bestehen Störungen nach Art, Dauer, Intensität und Häufigkeit mit ausreichender Substanz beschrieben hat.
Zudem hat das LG wesentliche Teile des Parteivortrags aufgrund von der Missachtung bestehender Substantiierungsanforderungen nicht berücksichtigt, da es Störungszeiträume außer Betracht gelassen hat, für die kein Lärmprotokoll existierte. Bei der wiederkehrenden Beeinträchtigung hat es eines solchen Lärmprotokolls nicht bedurft, da die Klägerin diese nach Art, Dauer, Intensität und Häufigkeit mit ausreichender Substanz beschrieben hat.
Quelle: BGH online