Vorgetäuschter Vermieterbedarf: Besonders sorgfältige Prüfung von Parteivorbringen und Beweisergebnissen
BGH 29.3.2017, VIII ZR 44/16
Begehrt der Mieter Schadensersatz wegen vermeintlich vorgetäuschten (Eigen-)Bedarfs, weil der Vermieter den in seiner Kündigung geltend gemachten Bedarf nach dem Auszug des Mieters nicht verwirklicht hat, so kommt der vollständigen und sorgfältigen Würdigung des Prozessstoffes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Gerichte besondere Bedeutung zu. Den Vermieter trifft in Fällen, in denen er den zur Grundlage der Kündigung gemachten Bedarf nach dem Auszug des Mieters nicht realisiert, eine besondere (sekundäre) Darlegungslast zum nachträglichen Wegfall des Bedarfs.
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Jahr 2008 vom Rechtsvorgänger des Beklagten eine Vier-Zimmer-Wohnung in Koblenz gemietet; die mtl. Miete betrug zuletzt rd. 520 € brutto. Der Beklagte kündigte das Mietverhältnis im Jahr 2010 mit der – vom Kläger durchgängig bestrittenen – Begründung, die Wohnung werde für einen neuen Hausmeister benötigt. Nach einer Räumungsklage des Beklagten schlossen die Parteien im Vorprozess am 14.6.2011 einen Vergleich, in dem sich der Kläger verpflichtete, die Wohnung bis spätestens Ende 2011 zu räumen.
Im Anschluss an den am 31.10.2011 erfolgten Auszug des Klägers zog allerdings nicht der angekündigte neue Hausmeister, sondern eine – nicht mit Hausmeisterdiensten betraute – Familie in die Wohnung ein. Der Kläger begehrt wegen des seiner Auffassung nach nur vorgetäuschten Bedarfs u.a. Ersatz der Umzugskosten sowie der Mehrkosten, die ihm durch die höhere Miete für die neue Wohnung entstehen.
AG und LG wiesen die auf Zahlung von insgesamt rd. 25.800 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage ab. Die zunächst mit der Sache befasste Berufungskammer des LG stellte darauf ab, dass die Parteien mit dem Räumungsvergleich einen endgültigen Schlussstrich unter das Mietverhältnis hätten ziehen wollen, weshalb es dem Kläger verwehrt sei, im Nachhinein Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs geltend zu machen. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurück.
Auch diese Kammer des LG wies die Berufung des Klägers zurück. Aufgrund der Darlegungen des Beklagten und insbesondere der lebensnahen und nachvollziehbaren Angaben des als Zeugen vernommenen neuen Hausmeisters sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte bei Ausspruch der Kündigung und noch bis nach dem Auszug des Klägers die Absicht gehabt habe, die Wohnung dem Hausmeister zur Verfügung zu stellen. Der Beklagte habe plausibel vorgetragen, der neue Hausmeister habe ihn erst Anfang November 2011 darüber informiert, dass er wegen seiner Erkrankung (u.a. Kniebeschwerden) nicht in die im dritten Obergeschoss liegende Wohnung einziehen werde.
Auf die erneute Revision des Klägers hob der BGH auch das zweite Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere (dritte) Kammer des LG zurück.
Die Gründe:
Das Berufungsurteil war nur insoweit zu bestätigen, als darin hinsichtlich einer einzelnen, nicht ausreichend substantiierten Schadensposition zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Im Übrigen war die Sache ein weiteres Mal an eine andere Kammer des LG zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des BGH getroffen werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der vollständigen und sorgfältigen Würdigung des Prozessstoffes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Gerichte gerade in Fällen zu, in denen ein Vermieter seinen zur Grundlage der Kündigung gemachten Bedarf an der Wohnung nach dem Auszug des Mieters nicht realisiert.
Durch eine schuldhafte unberechtigte Kündigung – insbesondere im Falle des Vortäuschens eines in Wahrheit nicht bestehenden Selbstnutzungswillens – kann sich ein Vermieter schadensersatzpflichtig machen, wenn der Mieter daraufhin auszieht und infolgedessen Vermögenseinbußen erleidet. Dabei trifft den Vermieter in Fällen, in denen er den zur Grundlage der Kündigung gemachten Bedarf nach dem Auszug des Mieters nicht realisiert, eine besondere (sekundäre) Darlegungslast zum nachträglichen Wegfall des Bedarfs. Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht um, liegt nämlich der Verdacht nahe, dass der Bedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel, sprich stimmig, darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Bedarf nachträglich entfallen sein soll.
Diesen strengen Anforderungen ist der Beklagte vorliegend nicht gerecht geworden. Bei einer tatsächlich bestehenden Bedarfslage wäre zu erwarten gewesen, dass er mit dem neuen Hausmeister jedenfalls nach Abschluss des Räumungsvergleichs im Juni 2011 alsbald einen Mietvertrag abschließen oder sich zumindest über den voraussichtlichen Mietbeginn und die genaue Miethöhe verständigen würde. Hierzu hat der Beklagte jedoch nichts vorgetragen, sondern ausgeführt, der Hausmeister habe sich erst in der ersten Novemberwoche „überlegt“ und ihm mitgeteilt, dass die im dritten Obergeschoss liegende Wohnung wegen seiner – seit längerem andauernden – Kniebeschwerden für ihn ungeeignet sei und er sie deshalb nunmehr doch nicht anmieten wolle. Diese Darstellung erscheint jedoch nicht plausibel und kaum nachvollziehbar. Kommt der Vermieter seiner besonderen Darlegungslast in derartigen Fällen nicht nach, ist die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung – hier das Vortäuschen eines nicht bestehenden Bedarfs an der Wohnung – als unstreitig zu behandeln.
Im Übrigen hat es das LG versäumt, sich mit unter Beweis gestellten Einwänden des Klägers gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage auseinander zu setzen. Auch weiterem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers, der den vom Beklagten geltend gemachten Bedarf gerade an der streitgegenständlichen Wohnung in Frage stellte, ist das LG rechtsfehlerhaft nicht nachgegangen.
Quelle: BGH PM Nr. 42 vom 29.3.2017